Mark Knopfler: «Ruhm richtet viel Schaden an» (2024)

Interview

Der ehemalige Kopf der Dire Straits hat ein Album über den Fluss seines Lebens aufgenommen, den River Tyne in Newcastle. Die Brücke darüber war sein Tor zur Welt.

Frank Heer

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Mark Knopfler: «Ruhm richtet viel Schaden an» (1)

Als Jimi Hendrix starb, arbeitete Mark Knopfler als Reporter bei der «Yorkshire Evening Post» in Leeds. Der News-Redaktor klopfte ihm auf die Schulter und sagte: «Jimmy Henderson, oder wie der Typ auch immer hiess, ist tot. Du hast eine Stunde für den Nachruf.» Das war am 18.September 1970, und der Artikel über den verstorbenen Gitarrengott war der letzte, den Knopfler für die Zeitung schrieb. 1973 stieg er in den Zug nach London, um selbst Gitarrengott zu werden.

Knopfler spielte in einer Vielzahl von Bands und war ein gefragter Gitarrist in Londons Pub-Rock-Szene. Doch leben konnte er davon nicht. Er war 24 Jahre alt und weit davon entfernt, ein Rockstar zu sein. Da er englische Literatur studiert hatte und Geld für eine neue Gitarre brauchte, nahm er eine Stelle als Dozent an einer Mittelschule Scan.

1977 gründete er mit seinem Bruder David die Band Dire Straits, in der er auch sang. «Sultans of Swing» war einer der ersten Songs, die Knopfler komponierte. Er handelt von einer mittelmässigen Jazz-Band, die ihre Erfolglosigkeit hartnäckig ignoriert. Dieses Schicksal blieb Knopfler erspart: «Sultans of Swing» machte die Dire Straits zu einer der grössten Stadionrock-Bands aller Zeiten. Auf ihrer «Brothers in Arms»-Tournee 1985 verkauften sie zweieinhalb Millionen Tickets.

Als Knopfler 1991 in einem Hotelbett in Amsterdam erwachte, überkam ihn das Gefühl, «dass mir jemand das Fell über die Ohren gezogen hatte. Ich war ausgebrannt und zerfetzt», erzählte er dem «Classic Rock Magazine». «Ich wurde mir einer Umkehrung bewusst: Du bist ein Songwriter, hast auf die Welt geschaut, und plötzlich schaut die Welt auf dich.» Knopfler löste die Band auf. Seither wandert er, immer noch erfolgreich, auf Solopfaden, um den Blues, Country und den Folk zu erforschen. Jene Musik, mit der bei ihm alles begann.

Herr Knopfler, wer waren Ihre Gitarrenhelden, bevor Sie selbst zum Gitarrengott wurden?

B.B.King, Eric Clapton, Peter Green...

Als ich mir Ihre neue Platte anhörte, kam meine Frau ins Zimmer. Nach drei Sekunden fragte sie: Ist das Mark Knopfler?

Nun, Stil ist leicht zu erkennen, aber schwierig zu erklären...

Wie entwickelt man seinen eigenen Stil?

Durch Kopieren.

Kopieren?

Meine Eltern hatten keinen Plattenspieler, nur ein Radio. Also versuchte ich das, was ich hörte, auf der Gitarre nachzuspielen. Später, als ich in Leeds als Journalist arbeitete, interviewte ich einen lokalen Musiker namens Steve Phillips. Er besass eine grossartige Plattensammlung von Blues, Folk und Country. Wir wurden Freunde, und ich verbrachte viel Zeit bei ihm, um Platten zu hören. Zu Hause versuchte ich, den Spirit dieser Musik einzufangen.

Aber das erklärt noch nicht, wie Sie zu Ihrem eigenen Sound gefunden haben. Wer mit den Dire Straits aufgewachsen ist, erkennt Ihre Gitarre auf Anhieb. Warum?

Wenn man etwas kopiert, passiert eine Synthese.

Zwischen Ihrem Spiel und dem Spiel der Person, die Sie kopieren?

Ja. Natürlich machte es mir Spass, Hendrix oder B.B.King zu imitieren. Wie alle grossen E-Gitarristen spielten sie mit dem Plektrum, was ja auch eine tolle Sache ist. Das Plektrum ist der Inbegriff des elektrischen Gitarrenspiels. Aber ich mochte von Anfang an auch den Fingerstyle...

...das Zupfen mit blossen Fingern.

Ja. Mit der Zeit nahm ich das Plektrum immer seltener in die Hand. Meine Finger übernahmen die Kontrolle. Ich konnte plötzlich Dinge spielen, die ich mit einem Plektrum nicht hätte spielen können. So erweiterte sich mein Spektrum, und ich fand meine eigene Stimme.

Mark Knopfler: «Ruhm richtet viel Schaden an» (2)

Ein Merkmal Ihres Spiels ist die Geschwindigkeit. Diese superschnellen, präzisen Triolen, die Sie scheinbar mühelos beherrschen. Lassen Sie mich raten: Sie haben endlose Stunden auf der Bettkante geübt?

Ein bisschen, ja. Wobei mich Geschwindigkeit und solche Sachen heute nicht mehr interessieren. Die Roots-Musikerin Gillian Welch hat mir einmal gesagt: «Alles, was ich tun möchte, ist, ein paar gute Songs zu schreiben und eine Platte zu machen.» Ich empfinde das genauso. Am Anfang meiner Karriere sah ich mich in erster Linie als Gitarristen. Irgendwann wurde das Songwriting wichtiger.

Ihre neue Platte «One Deep River» ist eine Ode an den Fluss Ihrer Jugend in Newcastle. Was sehen Sie, wenn Sie an den River Tyne denken?

Die Brücke, die darüberführt. Egal, ob man die Stadt verliess oder heimkehrte, es gab keinen Weg um die Brücke herum. Für mich war sie ein Symbol des Aufbruchs, für andere ein Symbol der Heimkehr.

Und der Fluss, wofür steht er?

Der Tyne ist für mich, was für die Amerikaner die Route 66 ist. Eine geografische Metapher. Er steht für das Leben. Meine Kindheit, die Jugend, das Wegziehen. Dieser Fluss war für mich schon immer von grosser Bedeutung, auch in früheren Songs.

Weil er Sie fortgetragen hat?

Weil ich mich von ihm mitreissen liess, um mein Huckleberry-Finn-Leben zu führen, unterwegs zu sein, auf Tournee, weg von zu Hause.

Es gibt Leute, die wurden mitgerissen und kehrten nicht mehr zurück. Bestand bei Ihnen nie die Gefahr, vom Fluss verschluckt zu werden?

Doch, aber ich hatte das Glück, 28 Jahre alt zu sein, als wir mit den Dire Straits erfolgreich wurden. Wäre ich 18 gewesen, hätte mich der Fluss verschluckt. Mein Leben war damals ziemlich durcheinander, nichts schien von Dauer. Ich glaube nicht, dass ich in diesem Alter den Erfolg überlebt hätte.

Warum nicht?

Erfolg ist eine gute Sache. Aber Ruhm richtet viel Schaden an, besonders, wenn man jung ist und vergöttert wird. Mir fällt niemand ein, dem das gutgetan hat. Auch mit 28 war das noch immer ein ungewöhnliches Paket, mit dem man fertigwerden musste, aber in diesem Alter hat man sich schon etwas besser im Griff. Vielleicht half mir auch meine Kindheit und Jugend im Nordosten Englands.

Wie meinen Sie das?

Hier oben gehört es sich nicht, dass man über sich hinauswächst. Möglicherweise ist das eine schottische Sache, oder es hat mit den jüdischen Wurzeln meines Vaters zu tun, ich weiss es nicht. Aber ich habe früh gelernt, ein verantwortungsvoller Mensch zu sein.

Hatten Sie darum immer einen Plan B? Sie studierten an der Uni. Später arbeiteten Sie als Reporter und unterrichteten englische Literatur.

Das war eine Notwendigkeit. Ich stand zwar jede Nacht auf einer Bühne, aber ich konnte meinen Lebensunterhalt nicht bestreiten. Ich musste arbeiten. Als wir mit den Dire Straits 1978 im Londoner «Marquee Club» mehrere ausverkaufte Konzerte spielten, verdienten wir 110 Pfund für jeden Gig, mussten aber 100 Pfund an die Musikanlage abtreten. Am Ende blieb noch etwas Geld für ein Bier.

Einer Ihrer Songs auf dem neuen Album heisst «Ahead of the Game» und handelt von einem Musiker, der den Traum vom Durchbruch aufgegeben hat. Auch «Sultans of Swing», Ihr grösster Hit mit den Dire Straits, erzählt von einer Jazz-Band, für die sich niemand interessiert...

Dahinter steckt eine wahre Geschichte, die ich in einer Kneipe erlebt hatte. Dort spielte eine Dixie-Jazz-Band vor betrunkenen Jugendlichen, die Rock’n’Roll hören wollten. Als die Band fertig war, sagte einer der Spieler: «We are the Sultans of Swing! Good night!» Ich fand das lustig, weil die Band das Gegenteil davon war, was man sich unter swingenden Sultanen vorstellte. Gleichzeitig brach es einem das Herz, weil sich niemand für sie interessierte, obwohl sie mit Hingabe spielte. Ich stellte mir vor, wie die Musiker nach dem Gig nach Hause gingen und eine Platte von Lester Young auflegten, um darin zu versinken.

Ist das Bild der erfolglosen Band so etwas wie ein wiederkehrender Traum?

In gewisser Weise, ja.

Aber Sie sind doch längst Pop-Star geworden! Ist das Nostalgie?

Überhaupt nicht. Ich habe einen alten Kumpel, den ich heute Nachmittag im Pub treffe. Wir trinken Kaffee und quatschen über Pop. Es ist wie ein Quiz. Andere Männer in unserem Alter reden übers Fischen oder Politik – wir fordern uns gegenseitig mit Fragen über Rockmusik heraus. Mein Freund ist selbst Musiker. Er tritt mit seiner Band in Pubs auf und spielt die bekannten Hits rauf und runter. Die Leute lieben das: ein Abend im Pub, Live-Musik, ein paar Drinks, tanzen... Schwieriger wird es, wenn eine Band auf die Bühne kommt und ihre eigenen Songs spielt, die niemand hören will. Man muss ziemlich entschlossen sein, um das durchzuziehen, denn die Chancen, damit erfolgreich zu sein, sind verschwindend klein.

Sie haben es vom Pub in die grössten Arenen der Welt geschafft. 1985 spielten Sie im Wembley-Stadion vor 72000 Menschen. Haben Sie eine Erklärung für den Erfolg der Dire Straits?

Leider nein. Ich würde es Ihnen sagen, wenn ich ein Rezept hätte.

Aber es gibt doch sicher ein paar Ingredienzen?

Leidenschaft. Und eine Liebe für die Musik, die man spielt. Man muss das wollen: jede Nacht auf die Bühne, Equipment schleppen, ins Auto laden, nach Hause fahren... und alles wieder von vorne. Man muss das alles von ganzem Herzen wollen.

Mark Knopfler: One Deep River (Universal)

Ein Artikel aus der «NZZ am Sonntag»

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